Gastbeitrag: Entschädigung für VW-Kauf nach 2016

Gastbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Dominic Krutisch

(LC Legal & Compliance Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)

Rechtsanwalt Dr. Dominic Krutisch

Mit seiner Entscheidung vom 5. Juni 2020 hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz VW im Dieselskandal wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung verurteilt, obwohl der Kläger sein Fahrzeug erst 2016 – also nach Bekanntgabe des Abgasskandals – erworben hatte (Az. 8 U 1295/19).

Am 28. Juli 2020 wird der Bundesgerichtshof (BGH) über einen ähnlichen Fall entscheiden (Az. VI ZR 5/20). Das Thema „Kauf in Kenntnis“ im Dieselskandal ist bisher noch höchst umstritten:

  • Käufer, die nach dem Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals (September 2015) ihr Fahrzeug erworben und Kenntnis von der Manipulation hatten, verloren vor den Oberlandesgerichten meistens.
  • Manche Gerichte lehnen prinzipiell eine Haftung der Volkswagen AG ab, wenn der Fahrzeugerwerb nach der Ad-hoc-Mitteilung durch VW am 22. September 2015 erfolgte. Der Käufer muss bei einem Erwerb nach Bekanntwerden des Dieselskandals nach überwiegender Rechtsprechung darlegen und beweisen, dass er von der Manipulation des Fahrzeugs keine Kenntnis hatte und den PKW ansonsten nicht erworben hätte.
  • Einige Gerichte, wie das OLG Oldenburg (Az. 14 U 166/19), urteilten jedoch: Selbst wenn der Käufer über den Diesel-Abgasskandal bei VW informiert gewesen sein sollte, schützt das VW nicht vor ihrer Strafe. Das Gericht hält es für nicht angemessen, bei einer vollendeten sittenwidrigen Handlung den Täter mit Straflosigkeit zu belohnen, nur weil er sein Handeln öffentlich macht.
  • Diese Unübersichtlichkeit führt dazu, dass es an zahlreichen Oberlandesgerichten unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Am OLG Koblenz ist beispielsweise der 12. Zivilsenat der Ansicht, dass VW nach der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 alles unternommen hat, damit kein Verbraucher in Unkenntnis der Abgasmanipulation einen VW-Diesel mit dem Motor EA 189 kauft.
  • Dieses Verfahren wird jetzt am 28. Juli 2020 vom BGH endgültig entschieden (VI ZR 5/20). Der 8. Zivilsenat am OLG Koblenz hat VW dagegen nach § 826 BGB verurteilt: Für das Gericht entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein durchschnittlicher Käufer kein Fahrzeug zu einem marktüblichen Preis erwirbt, wenn er weiß, dass von Behördenseite womöglich eine Stilllegung droht.
  • VW habe das Fahrzeug des Tochterunternehmens – hier ging es um einen Skoda – auch nicht aufgrund der Abschalteinrichtung günstiger verkauft oder den Kläger vor dem Kauf informiert. Für den Kläger muss auch nicht ersichtlich gewesen sein, dass Skoda im Diesel-Abgasskandal involviert ist. VW habe die Ad-hoc-Mitteilung sehr allgemein gehalten und nicht explizit auf Skoda hingewiesen.

Dieses Urteil passt in die insgesamt verbraucherfreundliche Wende in der Rechtsprechung rund um den Diesel-Abgasskandal, die auch im ersten BGH-Urteil am 25. Mai 2020 (Az. VI ZR 252/19) und der Verurteilung von VW mündete. Ein sogenannter Hinweisbeschluss des BGH am 8. Januar 2019 (Az. VIII ZR 225/17) hatte diese Richtung eingeleitet.

Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgasreinigung wurden darin als mangelhaft bezeichnet. Seiher entscheidet die Mehrzahl der deutschen Oberlandesgerichte pro Verbraucher. Vor diesem Hintergrund ist auch in den Fällen „Kauf in Kenntnis“ ein verbraucherfreundliches BGH-Urteil denkbar.

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